Bericht zur Tagung "Rituale der Transformation" an der Universität Passau

Sozialwissenschaftler befassten sich mit der Bestattung in der individualisierten Moderne

Kreuz und Schrift RIP am Giebel einer Trauerhalle

Am 5. und 6. Juli 2019 hat an der Universität Passau die sozialwissenschaftliche Fachtagung "Rituale der Transformation. Zur Kultur der Bestattung in der individualisierten Moderne" stattgefunden. Sie wurde von den beiden Soziologen Thorsten Benkel und Matthias Meitzler organisiert. Vor dem Hintergrund umfangreicher empirischer Studien, die in den vergangenen Jahren von Passau aus zum Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer betrieben wurden, verfolgte die Tagung das Ziel, wissenschaftliche und praxisorientierte Perspektiven zusammenzubringen und aktuelle Entwicklungen zu diskutieren.

Mit einem Vortrag über die performative Verwaltung von Umbrüchen in der Sozialstruktur eröffnete Thorsten Benkel (Passau) die Veranstaltung. Anhand von Beispielen aus der Forschung zeigte er auf, wie mittels spezifischer Rituale das chaotische und zerstörerische Ereignis des Todes verhandelt und bewältigt werden kann. Im Anschluss fokussierte Matthias Meitzler (Passau) mit der Temperatur eine Transformationsvariable des Todes, deren (thanato-)soziologische Bedeutsamkeit sich weit über die existenzielle Frage erstreckt, wie kalt ein toter und wie warm ein lebender Körper eigentlich sein muss.

Michaela Thönnes (Zürich) beleuchtete die strukturellen Bedingungen des Pflegepersonals im Verhältnis von Individualisierung und Institutionalisierung. Am Beispiel der Tierbegleitung im Hospiz wurde aufgezeigt, wie diese Herausforderung zwar den Wandel hemmt, aber Möglichkeiten für einen subtilen kommunikativen Ausweg bietet. Auch Niklas Barth, Katharina Mayr und Alexander Walker (München) nahmen die Erkenntnisse aus ihrer empirischen Forschung in Palliativstationen und Hospizen als Ausgangspunkt für ihre Betrachtungen. Im Spannungsfeld von individuellen und kollektiven Übergangsriten sowie starren Organisationsroutinen steht insbesondere das Narrativ vom "guten Sterben" auf dem Prüfstand. Ursula Engelfried-Rave (Koblenz) stellte aktuelle Zwischenergebnisse und Aussichten aus der Projektforschung zum Thema Trauerbegleitung am Arbeitsplatz vor. Dem Dilemma zwischen effizienter Arbeit und Mitarbeiterfürsorge stehen viele immer noch hilflos gegenüber, wobei eine nicht wahrgenommene Trauer gravierende Folgen für die Arbeitsmoral haben kann. Nico Wettmann (Gießen) nahm die Transformationsarbeit von Hebammen bei pränatalen Verlusten in den Blick. Die Schwierigkeit liegt hierbei insbesondere im Umgang mit der Krise, die die soziale Konstruktion der Elternschaft durch den "Exitus um Uterus" erleidet. In einer Fallanalyse zur Diamantpressung aus Totenasche widmete sich Thomas Klie (Rostock) der Bedeutsamkeit von Artefakten im sepulkralen Kontext.

Den zweiten Veranstaltungstag leitete Leonie Schmickler (Passau) mit einer soziologischen Betrachtung über die Grenzen der Selbstbestimmung in der Sterbehilfe ein. Nach einer Darstellung und Einordnung der vielfältigen Fallgruppen der aktiven und passiven Sterbehilfe wurde die Komplexität einer juristischen, allgemeinen Regelung eines zutiefst intimen Lebensbereichs exemplarisch aufgezeigt. Frank Thieme und Susanne Stachowitz (Bochum) betrachteten Abschiedsrituale als Widerspiegelung des sozialen Wandels und ordneten unter anderem die Pluralisierung und Säkularisierung als eine Folge hiervon ein. Constanze Petrow (Geisenheim) thematisierte den Friedhof als einem Ort der Sozialraumanalyse, an dem sich strukturell und situativ divergierende Charakteristika ausmachen lassen. So stellte sie den privaten Raum am Grab dem öffentlichen Raum um das Grab herum gegenüber und beleuchtete unterschiedliche Handlungsbefugnisse und Aneignungsstrategien. Dorothea Mladenova (Leipzig) stellte ihr Dissertationsprojekt zum Wandel der Bestattungskultur in Japan vor. Im Zuge der historischen Entwicklung lassen sich verschiedene Stadien mit spezifischen Merkmalen hervorheben, wobei aktuell ein Trend zu einer individualisierten und zu Lebzeiten selbst organisierten Bestattung auszumachen ist, eingerahmt von wirkmächtigen Narrativen wie dem Wunsch, niemandem zur Last zu fallen und aktiv zu gestalten, was scheinbar unplanbar überrascht. Thema des Vortrags von Ekkehard Knopke (Weimar) waren ethnografische Erkundungen auf Bestattungsmessen. Eine zunehmende "Eventisierung" sei insofern zu konstatieren, als die Messen als Agenda-Setter für das Thema Tod und Sterben fungieren und ein attraktives Image für das Sujet und die Beteiligten zu etablieren versuchen.

Mit einem visuellen Streifzug durch das thanatologische Unterholz rundeten Thorsten Benkel und Matthias Meitzler die Tagung ab. Anhand von kommentierten Bildmaterial gewährten sie dem Publikum nähere Einblicke in ihre empirischen Forschungsarbeiten und zeichneten die soziologische Relevanz solcher Bereiche wie öffentliche Trauerplätze oder der Pathologie-Abteilung von Krankenhäusern nach.

Neben dem produktiven und tragfähigen Diskurs zwischen Theorie, Methodologie und Praxis, der die Vielfalt und Breite der Thematik signalisierte, machte die Tagung auch die Notwendigkeit weiterer intensiver Vernetzung und Forschung deutlich, damit insbesondere die Fragen nach der Einordnung von digitalen Entwicklungen und der Einbeziehung der Materialität am Lebensende bearbeitet werden können.

Aeternitas dankt den Veranstaltern und ihrem Mitarbeiter Christoph Nienhaus für den Tagungsbericht.