Grenzen der Glaubensfreiheit bei Anordnung einer Einäscherung

Oberverwaltungsgericht urteilt im Sinne der Ordnungsbehörde

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster (OVG NRW) hat im Juni 2023 über einen ungewöhnlichen Rechtsstreit entschieden. Angehörige eines Verstorbenen wollten dessen Einäscherung aus religiösen Gründen verhindern. Streitig war die Anordnung der Einäscherung des Leichnams des im April 2023 verstorbenen Sohnes der Antragsteller durch die zuständige Ordnungsbehörde. Der Leichnam befand sich in den Kühlräumen eines Bestattungsinstituts. Die gesetzliche Frist für eine Erdbestattung oder Einäscherung von zehn Tagen gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 BestG NRW war seit über sechs Wochen abgelaufen. Die zuständige Ordnungsbehörde beabsichtigte nun die Einäscherung des Leichnams des verstorbenen Sohnes im Weg des Sofortvollzugs gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW zu veranlassen.

Zum Hintergrund: Eine Ordnungsbehörde kann eine Einäscherung eines Verstorbenen im Weg des Sofortvollzugs aus hygienischen Gründen und zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr veranlassen, wenn sich die bestattungspflichtigen Hinterbliebenen weigern, eine Erdbestattung oder Einäscherung des Leichnams innerhalb der gesetzlichen Frist zu vorzunehmen. Die Eltern des Verstorbenen versuchten jedoch, dies per einstweiliger gerichtlicher Anordnung zu verhindern. Sie hielten es "nach der Einschaltung eines lange Jahre in China lebenden und mit der chinesischen Medizin bestens vertrauten Heilpraktikers für möglich, dass ihr Sohn noch nicht verstorben ist, sondern dass er sich möglicherweise im Zustand einer Anabiose, auch Kryptobiose genannt, befinde", heißt es im Urteil. Das Gericht war jedoch der Ansicht, dass diese Behauptung angesichts der ärztlichen, staatsanwaltschaftlichen und standesamtlichen Todesfeststellungen jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehre.

Die Eltern beharrten aber darauf, dass sie im Bestattungsunternehmen am Handgelenk und auf der Halsschlagader ihres Sohnes dessen Puls gefühlt hätten. Zudem beriefen sich die Eltern auf ihre Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Sie seien ebenso wie ihr Sohn gläubige Christen und glaubten daran, "dass Jesus Christus nach seiner Auferstehung bereits (scheinbar) Verstorbenen seinerzeit zum Wiederaufleben verholfen" habe. Ihr Sohn habe verfügt, dass er im Zustand der Anabiose aufbewahrt werde, damit er auferstehen könne wie Jesus Christus, weil es den Tod nicht gibt. Eine Bestattung jedweder Art sei Mord. Aus diesem Grund solle es "keine Feuer-, Erdbestattung oder eine sonstige Beerdigung geben, im Namen Jesus Christus".

Das OVG NRW führte jedoch aus, dass eine solche geltend gemachte Glaubensüberzeugung nicht dem Schutz des Grundgesetzes unterliegt. Denn die Eltern legten nicht dar, inwiefern die geltend gemachte Glaubensüberzeugung mit den religiösen Geboten der römisch-katholischen Kirche im Einklang steht, als deren Mitglied der Verstorbene melderechtlich erfasst war. Dem Wunsch nach einer individuellen, von der Üblichkeit abweichenden "Aufbewahrung im Zustand der Anabiose" nach dem Tod, also unter Ausschluss einer Feuer-, Erdbestattung oder einer sonstigen Beerdigung, erteilte das OVG NRW damit eine klare Absage. Der mit dem grundsätzlichen Friedhofszwang und den dabei einzuhaltenden Bestattungsfristen verbundene Eingriff in diese Grundrechte sei Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinn des Art. 2 Abs. 1 GG, weil er - so das Gericht - durch überwiegende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Die Ordnungsbehörde durfte somit die Einäscherung des Verstorbenen aus hygienischen Gründen und zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr veranlassen.

(Quelle: OVG NRW, Urteil v. 01.06.2023, Az. 19 B 541/23)