Witwe erhält Bestattungskostenhilfe, obwohl Sohn Erbe ist

Landessozialgericht hebt Bestattungspflicht der Ehefrau hervor

Justitia-Statue mit verbundenen Augen und Waage in der Hand

In einem kürzlich veröffentlichtem Urteil vom 10.03.2022 hat das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern der Witwe des verstorbenen Ehemannes in einem Verfahren über die Übernahme der Bestattungskosten durch den Sozialhilfeträger Recht gegeben, obwohl sie das Erbe ausgeschlagen hatte und der gemeinsame Sohn zum Erbe berufen war.

Die Ehefrau hatte die Bestattung ihres Ehemannes in Auftrag gegeben und beim zuständigen Sozialamt einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 Sozialgesetzbuch (SGB) XII („Sozialbestattung“) gestellt. Als bestattungspflichtige Ehefrau habe sie nach dem Bestattungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern aktiv werden müssen. Das Sozialamt hatte den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass der Sohn des Verstorbenen gemäß Erbschein als Erbe anzusehen sei und ihr die Kosten erstatten müsse. Die Klage der Witwe wurde vom Sozialgericht Neubrandenburg mit der gleichen Begründung abgewiesen: Die Kostentragungspflicht gemäß § 74 SGB XII treffe nicht primär die Klägerin, sondern ihren Sohn. Ein Ausgleichsanspruch gegenüber ihrem Sohn – aus sogenannter Geschäftsführung ohne Auftrag – sei als solcher unzweifelhaft und eindeutig gegeben. Auch dass der Sohn mittellos sei und sich in einem Verbraucherinsolvenzverfahren befinde, sei unerheblich.

Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat das Urteil auf die Berufung der Witwe nun aufgehoben und das Sozialamt zur Zahlung der Bestattungskosten verurteilt. Die Anspruchsberechtigung nach § 74 SGB XII dem Grunde nach sei nicht bereits unter Verweis auf den vorrangig zur Zahlung verpflichteten Sohn ausgeschlossen.
Damit hat das Gericht die in der Rechtswissenschaft umstrittene Frage beantwortet, wer in einer solchen Konstellation der „Verpflichtete“ im Sinne der Vorschrift des § 74 SGB XII ist. Zwar gehe eine Kostentragungspflicht aus Unterhalts- bzw. Erbrecht (hier: des Sohnes) der ordnungsrechtlichen Verpflichtung (hier: der Ehefrau), als Bestattungspflichtiger für die Kosten der Gefahrenbeseitigung aufkommen zu müssen, grundsätzlich vor. Der entscheidende Senat ist aber der Überzeugung, dass die Anspruchsberechtigung auf die Erstattung der Bestattungskosten nicht schon wegen der erbrechtlichen Kostentragungspflicht des Sohnes ausgeschlossen ist. Ob einem (nachrangig) Verpflichteten im Ergebnis ein Anspruch nach § 74 SGB XII zusteht oder er auf vorrangige Ansprüche verwiesen werden kann, sei eine Frage der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der „Zumutbarkeit“.

Jede nach Landesgesetz vorrangig bestattungspflichtige Person solle gerade darin bestärkt werden, sich um eine Bestattung zu kümmern, auch wenn sie eigentlich wisse, dass sie die Kosten endgültig nicht werde tragen können. Dies sichere zum einen eine würdige Bestattung im Interesse des Verstorbenen, zum anderen werde auch die Verwaltung entlastet, die anderenfalls im Wege der Gefahrenabwehr ordnungsrechtlich tätig werden müsste. Damit werde der hinter der Regelung des § 74 SGB XII stehender Zweck erfüllt, dass eine würdige Bestattung des Verstorbenen gewährleistet werden solle.

Der klagenden Witwe, die nicht über ausreichendes Einkommen und Vermögen verfügte, sei ein rechtliches Vorgehen gehen ihren zahlungsunwilligen Sohn auch nicht zuzumuten. Es dürfe ihr – trotz Erfolgsaussichten – kein Zivilprozess mit ungewissem Ausgang und entsprechendem Kostenrisiko abverlangt werden. Der Sohn, der auf mehrfache anwaltlich verfasste Zahlungsaufforderungen nicht reagierte, befand sich damals bereits im Leistungsbezug nach dem SGB II. Zum Zeitpunkt der Bestattung war eine Verbraucherinsolvenz für ihn vorbereitet worden, zu einem entsprechenden Verfahren kam es dann später. Bei dieser Sachlage sei höchst fraglich gewesen, ob die Klägerin tatsächlich auch ein zusprechendes Urteil hätte vollstrecken können.

Aeternitas-Hinweis:

Bevor es zu einer Kostenerstattung durch das Sozialamt kommt, muss die dies beantragende Person alle Möglichkeiten ausschöpfen, die Kosten aus eigenen Mitteln zu tragen. Dazu gehört auch, den oder die Erben zum Kostenersatz heranzuziehen, wenn man selbst nicht Erbe geworden ist, aber dennoch die Bestattung beauftragt und bezahlt hat bzw. bezahlen muss. Die Konstellation des Rechtsstreits war insofern besonders, als die Ehefrau des Verstorbenen nach Bestattungsgesetz vorrangig bestattungspflichtig war und daher ordnungsrechtlich für die Bestattung sorgen musste. Durch die Erbausschlagung kam sie nicht als Erbin in Betracht. Die Erbschaft fiel daher an den Sohn, der aufgrund einer Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1968) eigentlich die Kosten der Beerdigung seines Vaters hätte tragen müssen, sich aber weigerte und außerdem zahlungsunfähig war. Sein Antrag beim Sozialamt wäre wohl erfolgreich gewesen; selbst diese Möglichkeit nutzte er jedoch nicht.

(Quelle: Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 10.03.2022, Az.: L 9 SO 12/19)