Bern erteilt Erlaubnis für hinduistische Wasserbestattungen an der Aare

Hinduistische Glaubenstraditionen in der Schweiz

In den Jahren 1983 bis 2009 herrschte auf Sri Lanka ein Bürgerkrieg, der dazu führte, dass viele dort lebende Tamilinnen und Tamilen in andere Staaten flüchteten - auch nach Deutschland und in die Schweiz. Ein großer Teil von ihnen (nach Schätzungen: drei Viertel) pflegt hinduistische Glaubenstraditionen, sowohl die Zugezogenen als auch ihre in der Diaspora geborenen Nachkommen. So führte tamilisch-hinduistisches Gemeindeleben beispielsweise zur Errichtung des bedeutenden Sri-Kamadchi-Ampal-Tempels in Hamm (Sitz der Hinduistischen Gemeinde Deutschlands, KdöR). Auch die schweizerische Hauptstadt Bern hat besondere tamilisch-hinduistische Gebets- und Feierstätten vorzuweisen: Im „Haus der Religionen“ befindet sich der „Arulgnanamigu Gnanalingesurar Tempel“, ein Reformtempel, in dem Tamilisch als Tempelsprache eingeführt wurde, die Herkunft aus der Brahmanenkaste für das Priesteramt keine Bedingung ist und in dem auch Frauen als Priesterinnen wirken können.

Eine weitere bemerkenswerte hinduistische Stätte in Bern ist der am 15. November 2019 eingeweihte natursteinerne Abdankungstempel auf dem Bremgartenfriedhof, entstanden in Kooperation mit der tamilischen Hindu-Gemeinde - zusammen mit ihm befinden sich in der Stadt Orte für Bestattungen bzw. Bestattungszeremonien gemäß den Traditionen von fünf Weltreligionen. Nicht nur ist das Christentum vertreten, sondern zum Bremgartenfriedhof gehören neben dem hinduistischen Tempel auch Grabflächen für Muslime (1999) und Buddhisten (2018), während die jüdische Gemeinde (nach dem Mittelalter) seit 1871 über einen Friedhof in Bern-Wankdorf verfügt.

Entsprechend hinduistischem Glauben werden Verstorbene allerdings vorzugsweise nicht der Erde übergeben, sondern der Körper wird im Rahmen vorheriger und begleitender Zeremonien (mit Ausnahmen wie z.B. kleine Kinder) verbrannt und die Asche in ein (heiliges) Gewässer gestreut. Der bedeutendste der heiligen Flüsse in Indien ist der Ganges, in ihm sollen jährlich rund 100.000 Bestattungen stattfinden. Doch auch der Ort, wo jemand wesentliche Teile seines Lebens verbracht hat, ist für ihn und seine Angehörigen bedeutungsvoll. Und so trugen Nachkommen der einst aus Sri Lanka geflohenen, in Bern sesshaft gewordenen Tamilinnen und Tamilen einem Hindupriester des Vereins Saivanerikoodam das Anliegen vor, ihre - zumeist seit Jahrzehnten in Bern wohnenden - Eltern bei ihrem Tode auch auf deren Wunsch hin ebendort beisetzen zu können. Auf eine Weise, die den hinduistischen Traditionen würdevoll entspricht.

Dem entgegen stand insbesondere eine eidgenössische Wasserschutzverordnung, nach der das Einbringen von u.a. Asche in ein Gewässer als unerlaubte Verunreinigung gilt. Und doch fand sich eine Lösung: Nach der Einreichung eines Bewilligungsgesuches durch den engagierten Priester im Jahr 2023 erteilte die zuständige Behörde dem Verein eine Sondergenehmigung: Im Rahmen einer hinduistischen Bestattung dürfen nun - und zwar bis zu zwanzig Mal pro Jahr - die Asche sowie einige Rosenblütenblätter und ein Löffel Milch an einem bestimmten, wenig frequentierten Abschnitt in die Aare gegeben werden. (Die Milchgabe kann als Zeichen an den Verstorbenen gedeutet werden, dass alles zu seiner Zufriedenheit erledigt werden wird, und sie steht im Zusammenhang mit Vorstellungen von Wiedergeburt und Erlösung.) Für die Berechtigten ist dieser neue Bestattungsort sowohl unter dem Aspekt des Andenkens, der finanziellen Belastung als auch des Aufwandes eine große Erleichterung, zumal es beim Prozedere der Versendung der Urnen zum weit entfernten Varanasi in Indien am Ganges mitunter zu Störungen kommen kann.

Die erste schweizerische Stadt mit praktizierten hinduistischen Bestattungen ist Luzern. Dort können Berechtigte seit dem Jahr 2012 die Asche ihrer Verstorbenen der Reuss zuführen, zusammen mit (wasserunschädlichen) Beigaben (u.a. Blütenblätter, Reisbällchen), welche im Einklang stehen mit den beziehungsreichen Riten dieser jahrtausendealten Religion und ihren vielfältigen Ausprägungen.

Die erste hinduistische Wasserbestattung an der Aare in Bern wurde im Dezember 2023 durchgeführt.